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Interview: Im Gespräch mit den Machern der neuen Shimano XT M8000

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Tim Gerritts ist als Produktmanager bei Shimano dafür zuständig, dass der Entwicklungsprozess neuer Schaltkomponenten koordiniert wird. Er sammelt dabei die Informationen von europäischen Fahrrad-Herstellern, Fahrern und Kunden und wandelt sie zu Anforderungen für Produkte um. Wir haben uns mit ihm und seinem japanischen Kollegen Kubo San unterhalten, der daraus das Projekt entwickelt, bei dem weltweite Anforderungen berücksichtigt werden.

Interview: Die Macher der Shimano XT

MTB-News.de: Hi ihr zwei. Eure Job-Titel künden schon davon, dass ihr als Produktmanager unterschiedliche Märkte berücksichtigt. Welche Märkte sind denn für Shimano die wichtigsten, welche haben den stärksten Einfluss auf neue Produkte?

Tim Gerritts: Das läuft so: Kubo San sitzt in einem Raum, und dann kommt erst ein Amerikaner rein, dann ich, dann ein Asiate, wir diskutieren, und wer die besten Argumente hat, der gewinnt. Und momentan gewinnen meistens wir. (Kubo San lacht)

Wegen der Verkaufszahlen oder wegen der Argumente?

Beides!

Wie unterschiedlich sind denn heute die Anforderungen von Bikern aus verschiedenen Ländern?

Sehr! Und das ist auch die Erklärung dafür, warum wir heute nicht nur eine einzige XT-Schaltung anbieten können, sondern ganz verschiedene. Der US-Markt ist stark auf 1×11 fokussiert, weil dort meistens mit dem Auto zum Trail gefahren wird, dann gehen sie biken, und dann wieder mit dem Auto zurück. Da brauchen sie nicht so eine große Bandbreite. Europa bevorzugt 2-fach-Antriebe, für Marathons, aber auch, weil wir mit dem Bike zum Trail hinfahren – zumindest der größte Teil der Mountainbiker. Der asiatische Markt schließlich setzt noch größtenteils auf 3-fach.

Wie verhindert ihr, dass das in einer zu großen Variantenvielfalt ausartet?

Wir verwenden beispielsweise den selben Spider für 1-fach und 2-fach. Für 3-fach brauchen wir einen anderen Spider, nutzen aber immer noch den selben Kurbelarm. Wer also eine 2-fach Kurbel kauft, kann auch auf 1-fach umbauen, und umgekehrt.

# Kassette und Kette sollen so haltbar sein wie bisher - trotz geringerer Breite und Alu-Ritzel

Gleichzeitig setzt ihr, anders als z.B. die SRAM GX, auf verschiedene Kassetten für 2X11 und 1X11.

Naja, die Standard-Kassette ist für uns auch die selbe: Die 11-40 Zähne Kassette. Wir bieten auch die 11-42er an, aber wir glauben an die Variante mit 11-40 Zähnen. Viele Biker vergessen, dass es nicht nur um die Range geht, sondern auch die Fahrbarkeit. Die Schritte zwischen den Gängen dürfen nicht zu groß werden, sonst geht es uns Bikern wie LKW am Berg: Beim Gangwechsel verliert man zu viel Geschwindigkeit und kann dann nur noch den Anstieg hochschleichen. Die 11-40 Kassette ist unsere bewährte 10-fach 11-36er mit einem zusätzlichen 40er Ritzel.

Dabei habt ihr trotz Einführung von 11-fach auf die Nutzung eines neuen Freilaufs, zum Beispiel nach XD-Standard, verzichtet. Damit ist weiterhin das kleinstmögliche Ritzel das 11er Ritzel. Warum?

Das hat praktische und funktionelle Gründe. Funktionell ist es so: Kleinere Ritzel als 11 Zähne senken die Effizienz deutlich. Die Reibung steigt, und der Verschleiß natürlich auch. Und auch Schaltpräzision und Alltagseignung wollen wir nicht beeinträchtigen.

Praktisch wollten wir weiterhin auf bestehende Freilaufkörper passen. Obwohl die neue Kassette 1,85 mm breiter ist, misst sie an ihrer Wurzel die selbe Breite wie 10-fach Kassetten und passt dadurch auf alle bestehenden Naben. Die Extra-Breite war möglich, weil ja auch die Speichen nach innen wandern, wenn man groß genug wird. Bei uns ist es so: Wenn wir eine neue Technologie bringen, dann muss sie eine Verbesserung der bestehenden Lösung sein – und nicht Veränderung um der Veränderung willen.

Ein anderes gutes Beispiel für diese Philosophie bei uns sind Kurbelarme. Auch da haben bereits vor einigen Jahren viele nach Carbon-Kurbelarmen gerufen. Wir haben gesagt: Können wir machen, wir machen schließlich auch Carbon-Angeln oder Carbon-Felgen. Aber solange wir keine bessere Carbon Kurbel bauen können, als was wir derzeit aus Aluminium machen, machen wir keine Carbon-Kurbel.

# Kein Carbon um den Carbons Willen - weiterhin hohlgeschmiedete Alu-Kurbelarme

Führt denn die neue Kassette nicht trotzdem zu schmaleren Ritzeln?

Nein. Die Ritzel haben dieselbe Breite, und die Kette dieselbe Innenbreite. Dennoch haben wir den Abstand der Ritzel verringert. Die Kettenrollen haben die identische Breite, aber die Außenglieder sind etwas schlanker. Gleiche Kontaktfläche, schmalere Breite. Dadurch haben wir dieselbe Haltbarkeit und Festigkeit wie bei einem 10-fach Antrieb.

Eine schmalere Kette klingt nicht unbedingt nach gleicher Haltbarkeit?

Stimmt. Aber darauf kommt es nicht an – es kommt auf die Kettenquerschnittsfläche an, und die ist identisch. Das haben wir einerseits dadurch erreicht, dass die Glieder nicht mehr gelocht sind, und jetzt ein höheres Profil aufweisen. Also hat sich nur die Form geändert, aber nicht die Querschnittsfläche.

Das größte Ritzel habt ihr aus Aluminium gefertigt. Verringert das nicht die Haltbarkeit?

Die Kraft der Kette verteilt sich hier auf mehr Zähne, deshalb ist der Verschleiß hier geringer.

Das heißt, ihr erwartet keinen gesteigerten Verschleiß für das größte Ritzel?

Genau. Wir haben bereits am Rennrad viel Erfahrung damit, und zumindest mit dem von uns verwendeten Aluminium und dem Herstellungsprozess haben wir auf den größeren Ritzeln eher geringeren Verschleiß als auf den kleineren.

Im Gegenzug ist eure 11-fach Kassette selbst in der “kleinen” 11-40t Ausführung mit 420 g aber alles andere als leicht…

Ja, die Kassette ist etwas schwerer. Dafür haben wir an vielen anderen Stellen der neuen Gruppe Gewicht eingespart, und die vergrößerte 2-fach Bandbreite war uns das wert. Insgesamt ist die neue 2-fach leichter als eine alte 3-fach und hat fast die gleiche Bandbreite. Die neue Kassette ist 80 g schwerer als das Vorgängermodell.

Wie steht es denn um eure 1×11-Variante, die ohne Thick-Thin-Kettenblätter daher kommt. Wodurch wird hier ein Herunterfallen der Kette verhindert?

Wir haben eine andere Lösung, die noch besser funktioniert. Wir bei Shimano denken immer über das gesamte System nach, und betrachten die Auswirkungen einer Änderung ganzheitlich. Beispielsweise besteht unser 1-fach Kettenblatt aus einer Kombination von Carbon und Stahl. Stahl-Zähne für eine große Haltbarkeit und Carbon für ein geringes Gewicht. Das Zahn-Profil muss einerseits die Kette oben halten, aber andererseits – und das vergessen viele Biker – sehr effizient arbeiten. Die Kette oben zu halten ist einfach, aber es führt zu einer deutlich gesteigerten Reibung. Weil wir hier keine reinen Downhill-Komponenten bauen, sondern die neue XT, muss die Balance von Kettenführung zu Reibung stimmen. Und obwohl die Zähne sehr einfach aussehen, kann ich sagen: Da steckt viel Forschung, Testen und Engineering drin.

# Wir freuen uns auf einen Test der Shimano 1X11 Gruppe - Frage dabei: Ist die Kettensicherheit wie versprochen einwandfrei?

Sind denn Kettenblätter ohne Spider für euch eine Option?

Der Spider hat für uns den Vorteil, dass wir mit einer Konstruktion viele Varianten abdecken. Im Spider erzeugen wir die Varianten: 2-fach oder 3-fach, Boost oder nicht Boost – und deshalb brauchen wir ihn.

Für einen Umstieg auf Boost bräuchte ich also eine neue Kurbel?

Ja, ein Umbau der Kurbel ist nicht möglich.

Ein anderes neues Detail findet sich am Schaltwerk. Dort ist die Dämpfung jetzt ohne Zerlegung einstellbar.

Frühere Modelle konnten die Dämpfung nur ein- oder ausschalten. Dadurch hatten Enduro-Fahrer dann eine Dämpfung, Touren-Fahrer die höhere Effizienz und geringere Schaltkräfte. Weil die Dämpfung aber so populär ist, wollen wir jeden davon profitieren lassen. Jetzt kann man die Dämpfung genau an den eigenen Bedarf anpassen.

Ist denn die neue stärkste Stellung noch stärker als die alte?

Der Bereich reicht jetzt von der alten „Off“-Stellung bis 50 % über der alten „On“-Stellung.

Eine stärkere Dämpfung bedeutet aber auch: Es braucht mehr Kraft, um den Hinterbau zu bewegen, das Schaltauge wird stärker belastet,…

Ja, richtig. Das ist eine Herausforderung für die Rahmenbauer… und wir empfehlen unsere Direct Mount Schaltwerke, weil das stabilere Schaltaugen erlaubt.

Was hat es denn mit dem neuen Sideswing-Umwerfer auf sich?

Das ist ein Angebot für die Rahmen-Designer. Der Umwerfer-Mechanismus ist nicht mehr hinter dem Sitzrohr, sondern eher daneben. Das macht Platz für den Reifen, oder das Yoke, oder was auch immer. Auch das Kabel läuft nach vorne – man benötigt jetzt keinen Anschlag mehr am Hinterbau. Der wichtigste Punkt ist aber wohl die Schaltperformance bei Fullys. Der Umwerfer-Käfig bewegt sich jetzt parallel und nicht mehr auf einer Kreisbahn, dadurch schaltet er genau gleich, egal ob man gerade federt, oder nicht.

# Laut Shimano die wichtigste Neuerung - der Sideswing-Umwerfer

Aber erzeugt der neue Mechanismus nicht auch wieder neue Inkompatibilität?

Nein, eigentlich nicht. Den neuen Umwerfer gibt es für alle Montage-Standards. High Direct Mount, Low Direct Mount, mit Schelle… und zwar als XTR, XT und bald auch als SLX und Deore, als 2-fach und 3-fach. Das einzige Hindernis kann die Zugführung sein, aber die meisten Rahmen passen schon jetzt.

Ihr bietet weiterhin Pressfit-Innenlager an. Warum knarzen die eigentlich so häufig?

Das Problem ist, dass es keinen offiziellen Standard gibt. Niemand schreibt einen einheitlichen Standard vor, jeder macht sein eigenes Ding. Wir versuchen unsere Toleranzen so eng und konstant wie nur möglich zu halten, aber es fehlt einfach eine verbindliche Vorgabe, an die sich alle halten.

Bei Scheibenbremsen habt ihr euch derzeit einen erstklassigen Ruf erarbeitet. Läuft man da nicht zwangsläufig Gefahr, etwas zu verschlimmbessern?

Das ist uns bewusst – und deshalb haben wir alles beibehalten, was beliebt ist. Die neue Bremse ist sozusagen das beste aus beiden Welten: Die Ergonomie, I-Spec II und der integrierte Master-Zylinder von der XTR, aber alle Innereien sind im Grunde dieselben wie beim Vorgänger. Dadurch behalten wir die Performance, und haben die Ergonomie und das Gewicht noch verbessert.

# Auch die neue XT ist eine klasse Bremse - fein dosierbar und stark
# Gleiche Performance - die neue XT-Bremse. Aber: Magura hat mit MT5 und MT7 dennoch inzwischen die Nase vorn.
# Vereint das beste aus zwei Welten - etwas geringeres Gewicht und verbesserte Ergonomie

Wann dürfen wir denn mit einer elektrifizierten XT-Gruppe rechnen?

Wie gesagt: Wir bringen nichts auf den Markt, was nicht perfekt ist.

Also warten wir nochmal 4 Jahre?

Hängt davon ab, wann es perfekt ist.

Und kommt sie dann gleich mit kabelloser Ansteuerung?

Gegenfrage: Wie fändest Du das?

Eine überaus komplexe Lösung für eine Aufgabe, die sich bisher mit einem einfachen Stahlkabel lösen lässt.

Ich war von Anfang an an der Entwicklung der Di2 beteiligt, sowohl für Rennrad als auch für Mountainbike. Und wir haben anfangs auch so gedacht. Aber ich bin so glücklich, dass wir dem Markt gezeigt haben, dass es funktioniert: Am Rennrad. Im Cyclocross. Am Mountainbike. Jetzt beschweren sich Händler bei uns, weil sie zu wenig Wartungen durchführen können. Kein jährlicher Schaltzugwechsel mehr! Kein Einstellen der Schaltung mehr! Aber für eine kabellose Ansteuerung benötigt man diverse zusätzliche Akkus. Aber es kommen interessante Zeiten auf uns zu.

Auf welches Teil der Gruppe seid ihr denn besonders stolz?

Auf den Sideswing-Umwerfer! Und darauf, dass wir alle Features der XTR auf die XT übertragen haben.

Der Beitrag Interview: Im Gespräch mit den Machern der neuen Shimano XT M8000 ist auf MTB-News.de erschienen.


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