
Sommerzeit – Alpencrosszeit! Vielleicht braucht der eine oder andere ja noch Inspiration. Eine Inspiration, wohin es dieses Jahr im Sommer gehen könnte. Da hätte ich eine Empfehlung: Die Cottischen Alpen; sie gehören noch nicht zu den absoluten Topspots der Alpen. Dennoch braucht sich dieses Schmuckstück der Westalpen, im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Italien, nicht verstecken. Eine super Infrastruktur, geniale Trails und eine atemberaubende Landschaft lassen die piemontesischen Gipfel links von Turin nicht mehr lange ein Geheimtipp sein.


Tag 1
Nicht, dass wir die Alpen nicht kennen würden, aber ein „Boah“ und „Ahhh“ kommt bei den Spitzenpanoramen immer wieder über unsere Lippen. 14 Uhr Ankunft im Valle Maira. Eine Unterkunft der Extraklasse! Das Ceagilo am Rand der Gardetta Hochebene auf 1.223 Metern Höhe ist der perfekte Ausgangspunkt für aufregende Tagestouren. Das heißt dann auch, direkt ab zum Prolog – mit 20 Kilometern, 800 Höhenmetern und einem Trail vom Allerfeinsten… auf 12 Kilometer Rock n’ Roll pur. Vielversprechender kann ein Alpenurlaub nicht beginnen!

Tag 2
Der Plan für unsere erste große Tour ist einfach: Wir fahren einen Berg hoch und dann wieder runter. Der Berg heißt Monte Tibert, wie Herbert, nur anders. Also heißt es, 16 Kilometer und 1.200 Höhenmeter Schotter und Asphalt abzuspulen. Dann, am Colle d’Esischie auf 2.370 m, geht es ab auf den geilsten Trail ever. Es folgen 22 Kilometer Trail, erstmal rauf zum Gipfel des Monte Tibert auf 2.650 m.
Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, so leer und so still. Schau da, wie geil ist das denn? Von hier oben guckt Falkenauge bis Afrika. Vom Gipfel runter ist ein wenig Technik gefragt, für den einen mehr, für andere weniger. Gefangen in einer nicht mehr abklingenden Ekstase geht es zurück auf die Straße, zurück zu schmackhaften Kohlenhydraten und rotem Traubensaft.
Tempo bolzen, Hinterrad lutschen und belgischer Kreisel fällt aus in Ermangelung an Fahrern, jeder kämpft mit den letzten Reserven. In Ponte Mamora treffen wir uns bei einem leckeren Bier, bevor die letzten Höhenmeter des Tages in Angriff genommen werden. Noch ein kleines Tempospielchen bergauf, bis kurz vor oben der Geist der vergangenen Tour den Stöpsel zieht. Feierabend.
Tag 3
Kacke, ich bin krank, aber so richtig. Ich leide!!! Ich leide an hochgradiger Reizüberflutung in Verbindung mit Teilabschaltung des Großhirns wegen Sauerstoffmangels. Nach der Hammertour auf den „Herbertberg“ gestern haben wir es uns nicht nehmen lassen, dieses Ereignis mit 7 bis 8 Litern Vino Rosso della Casa zu begießen. Die Folge sind Teilausfälle diverser Organe und Körperteile.
Zum Glück wird die heutige Tour etwas entspannter. Ein nasser Trail runter, dann ein bisschen rauf, durch das Elva Tal zum Colle San Giovanni auf 1.875 m und zum Colle Betone auf 1.834 m. Pillepalle, es gibt nur ab und an mehr als 20% Steigung auf die Mütze. Ich nenne das: „ Hardcore-Entnüchterung“.
Oben angekommen, gibt es als Entschädigung dafür einen so was von flowigen Trail bergab, der toppt sogar den Flow des gestern Erlebten. Schlappe 13 Kilometer Waldtrails, Karrenwege, Rolling Stones, Spitzkehren und das sonstige übliche Gelumpe schaffen es, trotz schwerer Beine und schwerem Kopf die Ekstase explodieren zu lassen. Nach dieser Entspannungstour werden wir uns morgen dann doch mal wieder was mehr vornehmen.


Tag 4
Ist ja kein Kindergeburtstag hier, also packen wir uns heute die Zweieinhalbtausend-Meter-Marke ins Programm. Am Ende werden es dann 52 Kilometer mit 2.500 Höhenmetern. Auf den ersten 500 Höhenmetern habe ich mehrfach das Gefühl, zurückfahren zu wollen. Meine Oberschenkel wollen ihr Inneres nach außen stülpen.
Dann wird es ein wenig besser. Ach so, und natürlich kommt noch die interne Bergsprintwertung mit einer schweizer Gruppe aus dem Hotel dazu. Auf die 10 Kilometer Asphalt folgen nochmal 8 Kilometer Schotter bis zu Passhöhe auf 2.620 m, dem Passo Rocca Brancia. Dann erstmal schön über Rolling Stones zu Tal, um dann wieder 600 Höhenmeter zum Colle di Salsas Blancias auf 2.527 m zu kommen.
Das ist erst mal total toll, Tragepassage mit richtig vielen Prozenten. Die ersten Rufe nach Bier werden laut. Sauerstoffmangel macht MacHartmann zum Philosophen. Wir sitzen dumm rum, im Hang. Und MacHartmann genießt den großen gelben Fleck da oben in zweihundert Metern Entfernung, wo sich die güldenen Gräser im Wind wogen…ist der bekloppt.
Panoramabild zum Umschauen:
Jetzt aber weiter – tragenderweise – ehe sich die Philosophenkrankheit verbreitet. Finger in den Po, Mexiko. Aber der Markus, der hat einen Schalter! Damit kann man den Markus von MTB auf Alpenverein schalten, und so ist der dann mit dem Rad auf den Schultern weg. Ich will das auch haben, denn Tragepassagen sind müßig. Dafür bin ich der Textmarker, man findet mich direkt auf jedem Foto.
Ich schiebe und schiebe und schiebe, manchmal fahre ich, aber die anderen sind weg. Ich schiebe mich in Trance zu Hare Krishna und will gar nicht mehr aufhören, als ich den Berg „weiße Soße“ erreiche. Jetzt noch um 234 Ecken runter, rauf, drunter und drüber, Bunker hier, Helikopterkühe da…Bier her, Bier her oder ich fall um.
Und da sind sie wieder, die einzigartigen Helikopterkühe.
„Helikopterkühe sind ein ganz spezielles Fleckvieh, das nur in den Alpen gedeiht. Hinter den Ohren haben sie kleine Propeller, mit denen sie in jeden Steilhang erreichen können, um ihn abzugrasen. Außerdem haben sie zwei kurze und zwei lange Beine, damit sie besser im Hang landen können. Landen sie verkehrt herum, fallen sie als Schlachtvieh ins Tal hinab.“
Dann ist er da, das dämliche Stück Berg von Maultier, der Colle del Mulo auf 2.527 m. Aber jetzt ruft das Bier und der Trail, der folgt, treibt uns 1.300 Höhenmeter bergab. Und unser Technikmissionar MacHartmann muss uns natürlich beweisen, was wir für arme Lichter wir sind. Danke!!! Und dann das Highlight: 2 km Trail entpuppen sich als Maultierlatrine mit Stink und Nass.
Danach hat man sich sein Bier verdient – wirklich.
Tag 5
Das ist zum Haare raufen, lasst mich in Ruhe.
Ich stehe hier und es ruft, von rechts, von links, von überall… nimm mich, nimm mich, nimm mich. Der Berg, nein, die Berge rufen, locken, verführen. Man weiß ja gar nicht mehr, welchen man zuerst nehmen soll. Und alle sind so willig, da ist man ja, ob der scheinbar endlosen Auswahl, total überfordert. Zum Glück sind Frauen da anders.
Und weil es gestern ja wieder so schön krass war, ist heute Ruhetag – ätsch! Es ruft nur ein Berg, der Monte Bellino, ein Dreitausender, dem man 63 Meter geklaut hat. Also die frischen Beine eingepackt und ab dafür. Es folgen 19 Kilometer mit mäßiger Steigung und insgesamt 1.850 Höhenmetern.
Panoramabild zum Umschauen:
Mäßige Steigung, wenn ich das höre, kriege ich Ohrenkrebs. Nach vier Tagen Piemont ist das Wort “mäßig” ja wohl der Witz des Tages.
Wie schön, dass es über die ersten Kilometer mit runden 11 bis14 Prozent zur Sache geht. Schön, dass nach hinten raus die Steigung in Wohlfühlprozente übergeht. Nur diese abartigen Schotterpassagen mit den faustdicken Rolling Stones behindern das Wohlfühlen. Aber alles Elend hat ein Ende, Pause unterhalb des Monte Bellino, bevor die letzten einhundertfünfzig Höhenmeter Bikebergsteigen zum Gipfel angesagt ist. Oben sind wir dann die Könige der Welt, auf 2.937 m sind wir so hoch wie nie zuvor. Das muss aber alles wieder runtergeschottert werden. Erst geht es zum Colle Bellino auf 2.878 m und dann ab ins Tal.
1.200 Tiefenmeter Trail mit allem was man braucht: Schotter, Spitzkehren, Absätze, Rockgarden, Kuhfladen, PERFEKT. Ich merke jetzt auch meine Beine nicht mehr, ich habe von meinem 2Soulscycles Quarterhorse Schüttelfrost.

Tag 6
Heute ist die Königsetappe angesagt. Der Hit ist eine S3-Abfahrt über 1.000 Höhenmeter.
Der Anfang beginnt mit Grauen, nix Straße, alles Schotter & Prozente. Aber halb so wild, es sind nett zu fahrende Prozente und der geschotterte Waldboden ist griffig. Es läuft besser als alle Tage zuvor, meine Beine sind nach dem 24-h-Rennen in Duisburg endlich auch im Piemont angekommen. Besser spät als nie.
Wir kurbeln uns, mit einigen Tragepassagen zwischendrin, wieder auf 2.500 Meter hoch und nehmen auf der Grenze zu Frankreich einige Colle mit. Die Monte lassen wir rechts liegen, aber nur die von Zott. Passo della Cavalla 2.539 m, Col de la Gypiere de l’Orrenaye 2.482 m, Colle di Roburent 2.495 m, wir bewegen uns kilometerlang auf einer Hochebene zum Lac Roburent. Danach freuen wir uns auf die 150 Höhenmeter Tragepassage zum Colle della Scaletta auf 2.614 m.
Panoramabild zum Umschauen:
Jetzt aber Hallo! Die folgende 1.000 Tiefenmeter-Abfahrt wird anspruchsvoll, ist so beschrieben und tatsächlich auch so gekommen. Inklusive einer S4-Passage. Schwierigkeit S4 kann ich nicht, kann keiner von uns. Keiner bis auf unseren Fahrtechnikmissionar MacHartmann, der dafür aber richtig. Mein Enduro-Hardtail nimmt alles, wie üblich ist der Fahrer das Handicap. Anhalten? Nein Danke. Die Hände brüllen nach Entlastung, aber mein Pferd will weiter. Der Berg ruft… dann nimm mich feste, jetzt.
Ich verliere meine Plomben und Kronen, Wanderer jubeln uns zu, es ist fast zu geil um wahr zu sein. Meine Speichen üben ein Glockenspiel, es scheppert und schreddert. Ich weiß warum ich dieses Rad fahre, Ekstase, Yippie Ya Yeah, Schweinebacke.
Und was kommt jetzt? Jetzt erst mal ein Bier, denn irgendwann kommt ein Rifugio und dort ein gescheites Nervenwasser. Das Lustige ist, dass nach 2 Morettis die restlichen 500 Höhenmeter flowiger Trail zu einem S4 Hardcoretrail mutieren. So machen wir jetzt immer – wir trinken uns die Trails schön, dieser heißt ab jetzt Morettitrail.
Als wäre das nicht genug, machen wir auf dem Weg nach Hause noch einen belgischen Kreisel auf und knallen die 300 Höhenmeter zur Pension Fulllllllllllgazzzzzzzz, Arne gewinnt.

Schön war es, wir werden wiederkommen. Euch allen wünsche ich schöne und erholsame Sommerferien mit vielen tollen Erlebnissen auf den Trails eurer Wahl.
In diesem Sinne – Think Pink, eure Muschi
Alpentour 2014 Piemont/Italien von naepster – Mehr Mountainbike-Videos
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.
Der Beitrag Muschi am Mittwoch: Der Berg ruft… dann nimm mich! ist auf MTB-News.de erschienen.